«Unser Ziel? Ein Schweizer Handball-Unified-Team an den World Games 2027»

Inklusiver Handball  •  14.11.2023

Sidney Winteler Neuer Sportkoordinator SHV Inklusion Ab Juli 2023

Am Sonntag startet in Zürich die TogetherLeague mit der ersten Runde und fünf teilnehmenden Teams in die neue Saison. Das Turnierformat hat sich während der ersten Pilotphase bewährt und soll nun mit dem neuen Titelsponsor Sulzer grössere Aufmerksamkeit erhalten. Warum auch eine wissenschaftliche Studie in Planung ist und welche Unterschiede zur Unified League bestehen, erklärt Sidney Winteler, Sportkoordinator für inklusiven Handball, gegenüber handball.ch.

Sidney Winteler, am Sonntag startet die TogetherLeague in die zweite Saison. Worauf freust du dich am meisten?

Ich freue mich vor allem auf gemeinsame positive Erlebnisse. Ich freue mich zu sehen, wie individuelle Fortschritte erzielt wurden, wie die Athtlet*innen mit vollem Einsatz Erfolge erreichen und wie alle Teilnehmenden solidarisch einander unterstützen. Ich freue mich auf viele Emotionen und auf viele lachende und zufrieden und Gesichter!

Der SHV hat im Sommer eine Koordinationsstelle für inklusiven Handball geschaffen. Was bedeutet das genau für die TogetherLeague und welche Themen stehen aktuell auf deiner Agenda?

Seit der letzten TogetherLeague-Runde im vergangenen Juni hat sich ja einiges getan. Der Verband hat die Planung und Koordination der Spielrunden übernommen und ins Matchcenter integriert. Dadurch erhält das Format grössere Sichtbarkeit, gleichzeitig haben die Vereine weniger Aufwand und einen strukturierteren Ablauf. Am Turnier selbst, den Rahmenbedingungen oder etwa den Spielregeln wird sich nichts ändern, das hat sich so bewährt. Bis 2024 werden wir noch die Weisungen dazu ausarbeiten, wenn auch mit dem Ziel, das Turnier weiter so offen wie möglich zu gestalten. Das soll auch das Leitbild bei der Einführung der Lizenzen auf die nächste Saison sein.

Als neuer Sportkoordinator haben sich meine Aufgaben vom reinen Organisieren hin zum Koordinieren, Absprechen und Planen verschoben. Im September haben wir zum Beispiel die erste Weiterbildung für Trainerinnen und Trainer angeboten, um aufzuzeigen, wie inklusiver Handball umgesetzt werden kann. Gleichzeitig stehe ich im engen Austausch mit Special Olympics und anderen Verbänden, etwa Swiss Paralympics oder Swiss Deaf Sports, um neue Kontakte zu knüpfen und unsere Angebote bekanntzumachen. Mit der UnifiedLeague ist ein neues Angebot gestartet, da ging es zu Beginn darum, die Rahmenbedingungen zu klären und einheitlich umzusetzen. Gleichzeitig wollen wir den inklusiven Handball langfristig etablieren und neue Teams und Vereine gewinnen.

Für alle, die noch kein Spiel der TogetherLeague gesehen haben: Was unterscheidet ein inklusives Handballspiel von einem nicht-inklusiven Match?

Einen grossen Unterschied gibt es bei der Regelauslegung: die Spielregeln können sehr individuell gehandhabt werden. Der oder die Schiedsrichterin pfeift also nicht per se einen Schritt- oder Doppelfehler ab, oder wenn ein Spieler beim Wurf im Kreis steht. Das Ziel ist vielmehr, dass ein Spielfluss entstehen und jeder und jede ein Erfolgserlebnis erfahren kann. Das Leistungsvermögen der einzelnen Spieler*innen ist teilweise sehr unterschiedlich: Wenn also jemand im Moment (noch) nicht die Fähigkeit hat, regelkonform zu prellen oder zu werfen, dann wird das in der Spielleitung berücksichtigt. Gleichzeitig sollen die Regeln aber auch erklärt werden, damit der Lernprozess weitergeführt wird. In der TogetherLeague geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren, sondern um das gemeinsame Erlebnis und positive Erfahrungen. Stärkere Spieler*innen sind deshalb auch immer aufgefordert, ihre Mitspieler*innen zu unterstützen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu einem Meisterschaftsspiel, in dem der Leistungsgedanke stärker ins Gewicht fällt.

 

Lachende Gesichter Togetherleague Deuring

Wird in der neu geschaffenen UnifiedLeague stärker auf die Einhaltung der Spielregeln gesetzt? Welche zusätzlichen Möglichkeiten bietet das Unified-Format?

Einerseits kann man das sicher so sagen, ja. Die UnifiedLeague wird als Meisterschaft gespielt und beinhaltet damit auch stärker den angesprochenen Leistungsgedanken. Trotz allem befinden wir uns im Breitensport, in dem jeder und jede teilhaben und Erfolge feiern kann. Die Rückmeldungen aus den ersten Spielen waren von allen Beteiligten sehr positiv. Andererseits unterscheidet sich das Format ganz grundsätzlich von der TogetherLeague, weil es Unified Partners beinhaltet. Wir orientieren uns hier stark am Unified-Competition-Modell von Special Olympics, bei dem Athlet*innen mit Beeinträchtigung und Unified Partner ohne Behinderung gemeinsam Handball spielen. Auf dem Spielfeld müssen dann jeweils vier Athlet*innen sein, auch der Goalie soll kein Unified Partner sein. Das Format richtet sich an Erwachsene und ist gemischt. Im Moment können wir diese Vorgaben noch nicht vollumfänglich umsetzen – es fehlen noch Partner und teilweise spielen auch jüngere Athleten mit. Aber es ist ein Anfang und ein wichtiger Schritt, um die Unified-Form in den kommenden Jahren zu verankern und weitere Athlet*innen und Partner zu gewinnen. Unser Ziel ist, dass die Schweiz an den Weltspielen 2027 ein offizielles Unified-Team im Handball stellt.

Die Teilnahme an den World Games 2027 als Milestone – welche weiteren Ziele müssen bis dahin erreicht werden?

Zunächst wollen wir die Community erweitern, so dass rund zehn Teams in der Schweiz an den inklusiven Handballangeboten teilnehmen. Zurzeit zählen wir vier Vereine und erhalten Unterstützung aus Deutschland und Österreich. In Rheintal und Crissier sind zwei Initiativen gestartet und es gibt weitere Regionen, in denen über ein inklusives Angebot nachgedacht wird. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir die Zahl erreichen werden. In einem zweiten Schritt wollen wir genügend Unified-Partner gewinnen, die bereit sind, ein Auswahlteam zu begleiten und zu unterstützen. Hier haben wir noch Mühe, weil es eine völlig neue Art und Weise ist, Handball zu spielen. Das ist ja auch verständlich. Gemeinsam mit Unified-Partnern soll dann 2024 ein erstes Schweizer Unified-Team zusammengestellt werden, das vom Alter und Fähigkeiten so homogen wir möglich ist und auch zusätzlich gemeinsam trainieren kann. Ein weiterer Meilenstein sind dann die National Games 2026 in Zug, an denen wir ein offizielles Handballturnier organisieren wollen.

Welche Anforderungen sollte ein Unified Partner denn erfüllen?

Grundsätzlich sollte man bereit sein, den eigenen Leistungsgedanken zurückzustellen. Es geht in der aktuellen Phase eher darum, die Athlet*innen zu unterstützen. Mittelfristig ist das Ziel natürlich, dass die Athleten und Unified-Partner leistungsmässig auf etwa gleichem Level spielen können. Wer also den Handballsport aus einer anderen Perspektive, mit starkem sozialem Aspekt, erleben möchte, und mindestens 18 Jahre alt ist, kann als Unified-Partner in den Teams mitspielen. Handballerfahrung ist natürlich von Vorteil, aber keine zwingende Voraussetzung.

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Sowohl die TogetherLeague als auch die UnifiedLeague werden diese Saison aus wissenschaftlicher Sicht unter die Lupe genommen. Was hat es mit der Zusammenarbeit mit der Universität Bern auf sich?

Es ist mir persönlich ein wichtiges Anliegen, dass wir die Entwicklung des inklusiven Handballsports auch mit fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen abstützen können. Darum habe ich mehrere Universitäten angeschrieben und bin bei der Uni Bern auf Interesse gestossen. Vor zwei Wochen durfte ich den Handball anlässlich eines Seminars «Sport für alle» als Best-Practice-Beispiel vorstellen, und die Erfahrungen des HC Winterthur werden von zwei Studierenden in einer Seminararbeit beleuchtet. Dabei geht es um Fragen wie inklusive Trainingsgestaltung, Vorteile und Risiken von gemischten Gruppen etc. Zusätzlich haben wir aber auch zwei Personen gefunden, die in einem grösseren Rahmen unsere Spielangebote in ihrer Bachelor-Arbeit untersuchen werden. Dabei werden auch grundsätzliche Fragen gestellt, etwa ob ein Sportangebot mit Leistungsprinzip noch als inklusiv gelten kann, oder welchen Einfluss Unified-Partner auf das Inklusionsprinzip haben. Diese Fragestellungen sollen mit Beobachtungen, Interviews und wissenschaftlicher Auswertung beantwortet werden und den inklusiven Sport in der Schweiz weiterentwickeln.

Du hast bereits erwähnt, dass in mehreren Vereinen und Regionen Initiativen für inklusiven Handball bestehen. Als Abschluss unseres Gesprächs: Worauf sollten Vereine achten, wenn sie ein inklusives Angebot aufbauen wollen?

Der erste Punkt ist entscheidend: Man muss einfach mal anfangen. Wichtig ist natürlich, dass der Verein den Inklusionsgedanken unterstützt und mitträgt. Als Trainer*in sollte man eine J+S-Ausbildung haben, und mittelfristig auch eine Weiterbildung im Bereich Sport und Handicap in Betracht ziehen. Da gibt es mehrere Kursangebote, die helfen, den Fokus und die Sensibilität zu schärfen. Aber zu Beginn ist es nicht unbedingt nötig, denn wir wollen keine künstlichen Hürden aufbauen. Es braucht natürlich Infrastruktur, eine Halle, einen oder besser noch mehrere Leitende, um den Bedürfnissen der Teilnehmenden gerecht zu werden. Und dann sollte man Geduld haben, wenn das Angebot zu Beginn nicht so stark genutzt wird. Ich selbst habe 2019 mit einer Person begonnen und über mehrere Monate fast ein Einzeltraining angeboten – heute zählen wir beim HC Winterthur zwischen 12 und 15 Teilnehmer. Ich empfehle auch immer, das Angebot bei Sportämtern und den Heilpädagogischen Schulen bekanntzumachen. Oft funktioniert die Werbung dann auch als „Mund-zu-Mund-Propaganda“. Und da unsere Community stetig wächst, stehen wir auch immer für Fragen und Unterstützung zur Verfügung.

Quelle: Carolin Thevenin (Text), Martin Deuring (Bild)

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