Doppelinterview: Brunner/Salah über ihren Aufstieg, Kritik und internationale Highlights

Handball Schweiz  •  02.06.2022

Brunner/Salah_aktuell_EM2022

Das Schweizer Schiedsrichter-Duo Arthur Brunner und Morad Salah leitete vergangenen Sonntag das Endspiel in der EHF European League zwischen Benfica Lissabon und dem SC Magdeburg (40:39 nach Verlängerung). Im Interview mit handball.ch sprechen die beiden über dieses Highlight, ihren Aufstieg an die internationale Spitze und die nationale Schiedsrichter-Lage.

Arthur und Morad, ihr hattet am Sonntag die Ehre, das Finale der EHF European League zu leiten. Wie zufrieden seid ihr mit eurem Einsatz?
Morad Salah:
Das war ein sehr intensives Spiel mit einem hochdramatischen Ende. Logisch, dass bei solch einer Affiche auch die Emotionen hochgehen, dafür habe ich Verständnis. Mit unserer Leistung in diesem Hexenkessel bin ich aber zufrieden, auch wenn es ein paar Situationen gibt, die wir in der Nachbetrachtung anders hätten lösen können. Das gibt es in jedem Spiel.
Arthur Brunner: Ein fantastisches Erlebnis! Die Stimmung war unglaublich und es wurde über 70 Minuten wirklich toller Handball geboten. Wir haben unser Bestes gegeben und ich konnte es wirklich geniessen.

Habt ihr viel Feedback erhalten?
MS: Wir kriegen nach jedem Einsatz eine Bewertung. Ansonsten gibt es auch immer Feedback von nationalen und internationalen Schiedsrichter-Kollegen.

Ist der Final vom Sonntag das bisherige Highlight eurer Karriere?
AR:
Von der Ausgangslage, der Intensität und der Stimmung war das ein absolutes Highlight. Ich glaube nicht, dass man so etwas dutzendfach in einem Schiedsrichter-Leben erlebt.
MS: Wir durften schon andere Finals leiten, aber die Partie vom Sonntag gehört sicher zu den intensivsten und emotionalsten Erlebnissen.

Ihr seid Stammgäste an Grossanlässen und habt auch schon einen Olympia-Halbfinal gepfiffen. Welches Turnier bleibt euch in besonderer Erinnerung?
MS:
Nur schon an Olympischen Spielen dabei zu sein, ist ein Traum. Dann noch eines der letzten vier Spiele leiten zu dürfen – das war schon sehr besonders.
AR: Auch unser erstes Final-Spiel in der Schweiz war ein Highlight, sowie diverse nationale Finalissimas, die wir leiten durften.

EHF European League-Final

Vor dieser imposanten Kulisse in Lissabon leiteten Arthur Brunner und Morad Salah am vergangenen Sonntag das EHF European League-Endspiel zwischen Benfica Lissabon und dem SC Magdeburg. 

Vor dieser Kulisse leiteten Brunner/Salah das Finale der EHF European League

Blicken wir ein wenig in die Vergangenheit. Wie ist das Schiedsrichter-Gespann Brunner/Salah entstanden?
MS:
Wir waren an der Kantonsschule in St. Gallen in der Parallelklasse und spielten beim SV Fides im selben Verein Handball. Arthur als Kreisläufer, ich als Rückraum Mitte. Wir mussten dann einmal nach Appenzell und ich erhielt eine Rote Karte, die in meinen Augen keine war. Ich sagte dann eigentlich aus Spass, dass ich Schiedsrichter werde und eine solche Situation besser beurteilen würde. Arthur war dabei in Appenzell und so begann unsere gemeinsame Geschichte.
AR: Wir waren von Tag 1 an ein Gespann. Ganz selten haben wir ein Spiel alleine geleitet, uns gibt es eigentlich nur als Duo.

Wie habt ihr es von der kleinen Handball-Schweiz an die internationale Spitze geschafft?
AR:
Das ist eine Reihe von kleinen Schritten. Wir haben die Leute in den Verbänden stets mit soliden Leistungen überzeugen können. Das führt uns am Ende in solche Spiele, wie jenes am vergangenen Sonntag.
MS: Es steckt konsequente, regelmässige und harte Arbeit dahinter. Und viel Verzicht. Wir haben viel gearbeitet im physischen aber auch im taktischen Bereich. Wir gaben uns nie mit dem Erreichten zufrieden, sondern sagten uns: Ein weiterer Schritt ist getan, aber wir wollen besser werden. Und auch jetzt noch finden wir in jedem Spiel fünf bis zehn Situationen, die wir auch anders hätten lösen können.

Wieviel Zeit pro Jahr investiert ihr momentan für das Schiedsrichter-Sein?
AR:
Schwierig, das in Stunden auszudrücken. Wir opfern aber viel Zeit mit der Familie und Freunden oder an Wochenenden. Das sind Verzichte, die nicht allen bewusst sind – sowohl Nachahmern als auch Kritikern.
MS: Diese Saison absolvierten wir bislang 59 Spiele in der Schweiz und18 internationale Einsätze, darunter auch Olympia im August und die EM im Januar. Zusätzlich bereiten wir jedes Spiel vor und analysieren es im Nachgang. Auch helfen wir dem Nachwuchs. Das ist ein enormer Aufwand, den wir auch gerne betreiben. Oftmals sieht man das nicht, wenn man uns jeweils eine Stunde am TV oder auf dem Spielfeld sieht.

Stammgäste an Grossanlässen

Ob Olympia, Handball-WM, Handball-EM oder Champions League: Arthur Brunner und Morad Salah waren schon an fast allen grossen internationalen Handball-Turnieren dabei. Hier posieren sie vor der EHF EURO 2022 in Ungarn und der Slowakei zusammen mit dem Schweizer Delegierten Beat Nagel. 

Brunner_Salah_Nagel_an_Euro2022

Wie präsentiert sich der momentane Stand der Dinge betreffend Schiedsrichterwesen in der Schweiz?
AR:
Mittlerweile verfügen wir hierzulande über einen stabilen A-Kader. Auch die aktuelle Saison lief aus Sicht der Unparteiischen bislang gut. Und es gibt Gespanne, die uns nacheifern. Der Weg ist allerdings lang. Wir sind zwar erst 31 Jahre alt, aber wir sind seit 16 Jahren voll dran. Diese Bereitschaft muss man mitbringen. Ich hoffe, dass es auch in Zukunft Schweizer Schiedsrichter*innen-Paare auf internationalem Niveau gibt.
MS: Ich pflichte Arthur bei. Auch sind für die diesjährigen Handball-Awards zwei weitere junge Paare nominiert – das macht Freude. In diesem Zusammenhang dürfen aber auch Delegierte und Ausbildner*innen nicht vergessen werden. Sie betreiben einen enormen Aufwand, um uns Schiedsrichter besser zu machen.

Einen Tipp für ambitionierte, junge Schweizer Schiedsrichter*innen?
AR:
Zuerst muss man mit Kritik von aussen umgehen können. Das ist schwierig, vor allem wenn diese in einem Ton geäussert wird, der weit unter der Gürtellinie angesiedelt ist. Noch wichtiger ist es aber, sich selber kritisch zu hinterfragen. Spiele müssen aufgearbeitet werden. Wer in Selbstzufriedenheit verharrt, wird spätestens dann schlecht – oder ist eben gar nie gut geworden.
MS: Überdies braucht es ein hohes Mass an Eigeninitiative. Man darf nie genügsam werden. Auch das Umfeld ist entscheidend. Man muss dem Schiedsrichter-Sein eine hohe Priorität zumessen und seine sonstigen Aktivitäten rundherum planen.

Du hast es angesprochen, Arthur. Auf die Handball-Schiedsrichter*innen prasselt auch in der Schweiz immer mal wieder harsche Kritik ein. Eine Herausforderung, oder?
AR: Es wäre schön, wenn die Klub-Verantwortlichen und die Schweizer Handball-Öffentlichkeit zur Kenntnis nähmen, dass auch die Schiedsrichter*innen immer ihr Bestes geben. Ich lege meine Hand ins Feuer, dass kein Schiedsrichter*in in der Schweiz mit Absicht einen Fehler macht, um ein Team zu bevorteilen. Das ist wie bei einem Spieler: Auch er macht nicht absichtlich einen Fehler, um seiner Mannschaft zu schaden. Das muss in die Köpfe. Wenn diese Botschaft überall angekommen ist, würde der eine oder andere – bei aller Emotionalität, die unser Sport braucht – seine Kritik gegenüber uns in einem anderen Tonfall äussern. Bei dieser Diskussionskultur gibt es in der Schweiz noch viel Luft nach oben. Eine Verbesserung würde dem Handball an sich enorm helfen. Es gab noch nie ein gutes Handball-Spiel, in welchem der Schiedsrichter*in schon vor Anpfiff unter Druck stand.
MS: Wir wollen das Produkt Schweizer Handball entwickeln – alle zusammen. Spieler, Trainer, Klubs und Schiedsrichter müssen am selben Strick ziehen, um diese tolle und dynamische Sportart attraktiv zu gestalten.

Schauen wir zum Abschluss in die Zukunft. Ihr seid erst 31-jährig, habt aber schon viel erreicht. Welche Ziele habt ihr euch noch gesteckt?
MS:
Wir wollen in der internationalen Elite-Gruppe bleiben und an jedem Grossanlass und in jedem Spiel unsere bestmögliche Leistung abrufen. Das gilt natürlich auch für Spiele in der Schweiz.
AR: Das nächste Spiel ist das wichtigste. Wir könnten jetzt über eine Partie in 19 Jahren sprechen – aber das ist viel zu weit weg. Klar, habe ich Träume. Einen WM-Final, einen Olympia-Final. Das ist aber in weiter Ferne. Denn ich denke an das nächste Spiel und das wird ziemlich sicher in der Schweiz sein.

Quelle: Raphael Bischof

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